Regionale Ausgangssituation
Das Projekt wurde in der Kleinregion Waldviertler Kernland umgesetzt, die 14 Gemeinden in den Bezirken Zwettl und Krems umfasst. Die Region ist mit einer Fläche von 543 km² und einer Bevölkerungsdichte von lediglich 26 EW/km² stark ländlich geprägt. Eine überdurchschnittlich hohe Zahl an Menschen ist älter als 75 Jahre (11,43 % der 13.803 Einwohner:innen), wobei ein Anstieg auf 13,4 % prognostiziert wird. Die Gesundheitsversorgung in der Region ist mangelhaft, Pflegeheime in den angrenzenden Bezirksstädten sind stark ausgelastet, und Wartezeiten für mobile Pflegedienste betragen bis zu vier Wochen. Eine zentrale Anlaufstelle für Gesundheits- und Pflegeinformationen existierte vor Projektbeginn nicht.
Ziele des Projekts Das Community Nursing wurde als zentrale Schnittstelle zwischen Klient:innen, professioneller Pflege, ehrenamtlicher Nachbarschaftshilfe und Gesundheitsdienstleister:innen implementiert. Die Zielgruppe umfasst insbesondere Menschen über 75 Jahre sowie pflegende Angehörige.
Die Hauptziele des Projekts waren:
- Steigerung der Gesundheitskompetenz
- Verlängerung der gesunden Lebensjahre und Erhöhung der Lebensqualität
- Ermöglichung eines längeren, selbstbestimmten Lebens zu Hause
- Entlastung pflegender Angehöriger
- Stärkung der Selbsthilfe und Vernetzung mit Nachbarschaftshilfe
- Einrichtung einer zentralen, unabhängigen Beratungsstelle
- Verbesserung der Schnittstellen zwischen Gesundheits-, Pflege- und Sozialorganisationen
Projektverlauf und umgesetzte Maßnahmen
Nach einer Sozialraumanalyse lag der Fokus in den ersten Monaten auf der Bekanntmachung des Projekts. Dazu wurden alle Haushalte mit Informationsmaterial versorgt und es wurden Sprechstunden in den Gemeinden eingerichtet, die jedoch Ende 2022 aufgrund mangelnder Inanspruchnahme eingestellt wurden.
Um die Zielgruppe frühzeitig zu erreichen, wurde ein präventives System etabliert. Monatlich erhielten alle über 75-jährigen Geburtstagskarten im Auftrag der jeweiligen Bürgermeister:innen. In Folge wurden diese telefonisch kontaktiert, um ein persönliches Gespräch zu vereinbaren. Rund 20 % der angeschriebenen Personen nahmen dieses Angebot an. In den Gesprächen wurden individuelle gesundheitsfördernde Maßnahmen erarbeitet und bei Bedarf bei der Umsetzung unterstützt. Dabei stellte sich heraus, dass Einsamkeit ein großes Problem darstellt und es kaum geeignete Angebote für diese Zielgruppe gab.
Daher wurden im Jahr 2024 regelmäßige Bewegungsgruppen für Klient:innen und pflegende Angehörige sowie Handarbeitsrunden etabliert. Zudem wurde ein monatliches Treffen "AusZeit" für an Demenz erkrankte Personen ins Leben gerufen. Neben der individuellen Beratung und Betreuung waren die Reduktion von Einsamkeit sowie der Aufbau von Gesundheitskompetenz zentrale Aktivitäten. Parallel dazu wurden Kooperationen mit verschiedenen Akteur:innen im Gesundheits- und Pflegebereich intensiviert.
Projektstrukturen und Rollenverteilung
Das Projektteam bestand aus fünf Community Nurses, die von einer Projektleitung unterstützt wurden. Jede Community Nurse betreute ein festgelegtes Gebiet, das an ihre Arbeitsstunden angepasst war. Entsprechend den Kompetenzen der CN standen diese auch als Vortragende zu unterschiedlichen Themen in der Region zur Verfügung.
Vernetzung und Kooperationen
Regelmäßige Teammeetings sowie Vernetzungstreffen mit regionalen Anbieter:innen und Kooperationspartner:innen fanden je nach Projektverlauf in unterschiedlicher Intensität statt. Besonders enge Kooperationen wurden mit dem Nachbarschaftshilfeprojekt "DAVNE" aufgebaut. Ab Mitte 2024 erfolgt die Zielgruppenansprache gemeinsam in Form von Geburtstagstreffen.
Abweichungen und Herausforderungen
Eine zu Projektbeginn vorgesehene Zielgruppe, nämlich junge pflegende Angehörige, konnte nicht wie geplant erreicht werden. Dies lag unter anderem daran, dass diese Gruppe schwer zugänglich ist und primär über Multiplikator:innen wie Schulen erreicht werden könnte, die jedoch nicht in den Arbeitsbereich der Community Nurses fielen. Zusätzlich führten mehrfach notwendige Mitarbeiter:innenwechsel zu einem hohen Ressourcenaufwand für Einschulungen und Einarbeitung, wodurch weniger Kapazitäten zur gezielten Ansprache dieser Gruppe vorhanden waren.
Fazit Das Community Nursing hat sich als zentrale Anlaufstelle für Pflegebedürftige, Angehörige und Steakholder bewährt. Es wurden neue präventive Maßnahmen etabliert, die regionale Gesundheitsversorgung verbessert und soziale Isolation reduziert. Trotz personeller Herausforderungen konnte das Projekt erfolgreich umgesetzt und nachhaltig in die regionale Versorgungsstruktur integriert werden.
Reflexion
Die Evaluierung fand auf unterschiedlichen Wegen satt. Es fand eine interne und externe Evaluierung statt:
Interne Evaluierung
Quantitative Evaluierung: Fallzahlen
Die interne Analyse der Fallzahlen zeigt einen deutlichen Anstieg von Personen, die das Angebot von Community Nursing im Zeitverlauf annahmen. Siehe Grafik.
Insgesamt wurden im Projektzeitraum 510 Personen begleitet und betreut. Bezogen auf die 1.700 Personen (Einwohner:innen über 75) entspricht dies einer Abdeckung von 30 %. Die Intensität der Betreuung variierte dabei erheblich: Während einige Personen eine einmalige Beratung im Rahmen eines Hausbesuchs erhielten, wurden in anderen Fällen intensive Betreuungen durchgeführt, die zur Etablierung von Pflegearrangements mit bis zu 20 Besuchen führten. Diese Zahlen verdeutlichen die hohe Akzeptanz des Projekts in der Zielgruppe und unterstreichen dessen bedarfsgerechte Ausgestaltung.
Eine tiefere quantitative Analyse wurde nicht durchgeführt, da die Evaluierung des Projekts durch die FH Kärnten und dem dafür entwickelten Dokumentationstool erfolgte.
Quantitative Evaluierung: Vorträge
Zur Qualitätssicherung und zur Erhebung von Feedback wurde nach den Vorträgen der Community Nurses in unterschiedlichen Settings eine quantitative Befragung der Teilnehmenden durchgeführt. Diese Erhebung umfasste neben der allgemeinen Zufriedenheit auch eine Abfrage potenzieller weiterer Themenbereiche die von Interesse für die Zielgruppe waren. Die Analyse der Rückmeldungen zeigt, dass die Vorträge von den Teilnehmer:innen als sehr unterstützend und praxisrelevant wahrgenommen wurden. Zudem wurde deutlich, dass viele Teilnehmende durch die Veranstaltungen erstmals mit den Community Nurses in Kontakt kamen. Darüber hinaus bestand die Möglichkeit, Interesse an einem persönlichen Beratungsgespräch zu bekunden.
Qualitative Evaluierung: Reflexionsgespräche
Im Rahmen der Qualitätssicherung wurden regelmäßige Reflexionsgespräche mit den Community Nurses durchgeführt. Hierfür wurde ein spezifischer Evaluierungsleitfaden entwickelt (siehe Anhang). Die Reflexionsgespräche fanden zwischen den Community Nurses und der Projektleitung bzw. einer erfahrenen Kollegin (Elfriede Kepte) statt. Diese Gespräche dienten einerseits der kontinuierlichen Verbesserung der Prozesse im Bereich der Gesundheitsgespräche. Andererseits ermöglichten sie die Identifikation weiterer Bedarfe und Problemstellungen, die maßgeblich in die zukünftige Ausrichtung des Projekts sowie in die Schwerpunktsetzungen einflossen.
Qualitative Evaluierung: Fokusgruppe mit den Entscheidungsträger:innen
Im Rahmen der Vorstandssitzung im November 2024 wurde im Format der Fokusgruppe mit den Entscheidungsträger:innen diskutiert. Im Zentrum der Fragestellungen standen die Zufriedenheit mit dem Verlauf des Community-Nursing-Projekts sowie die von ihnen empfundene Wirksamkeit des Projekts.
Die Bürgermeister:innen äußerten sich sehr zufrieden mit der Umsetzung des Projekts, obwohl anfänglich Skepsis bezüglich des Namens und Unklarheiten bezüglich des konkreten Projektinhalts bestanden. Erst im Projektverlauf wurde ihnen bewusst, dass viele Menschen in ihren Gemeinden Unterstützung im Bereich Pflege und Betreuung benötigen und dass individuelle Informationen zur Gesundheitsförderung essenziell sind. Durch das Projekt wurde bei den Bürgermeister:innen das Bewusstsein für die Bedürfnisse pflegender Angehöriger sowie betreuungsbedürftiger Personen geschärft. Die Gemeinden haben das Community-Nursing-Projekt als sehr unterstützend und nutzenorientiert wahrgenommen.
Durch das Projekt und insbesondere durch die anonymisierten Fallbesprechungen in verschiedenen Treffen wurde der Bedarf an solchen Maßnahmen sichtbar und spürbar. Auch das Thema Einsamkeit älterer Personen wurde durch das Projekt deutlich hervorgehoben, und erste Lösungsansätze wurden getestet und in den Regelbetrieb überführt.
Qualitative Evaluierung: Gesundheitsanbieter:innen & Pflegeorganisationen
Im Rahmen des Gesundheitstreffens im Oktober 2024 wurde auch die Rolle der Community Nurses thematisiert und weiter konkretisiert. Dabei wurde deutlich, dass insbesondere die Hauskrankenpflegeorganisationen, die dem Projekt zunächst abwartend gegenüberstanden, einen erheblichen Nutzen darin sehen. Durch die Zusammenarbeit können Pflegearrangements von Beginn an effektiver gestaltet werden. Besonders die Landeskrankenhäuser erkennen den enormen Wert des Projekts durch die Kenntnisse der Community Nurses über das häusliche Umfeld der Klient:innen.
Ein konkretes Beispiel zeigt den Erfolg der Maßnahmen: Durch die Intervention der Community Nurses konnte der Krankenhausaufenthalt eines Patienten um mehr als drei Wochen verkürzt werden. Zur Verstärkung dieser positiven Effekte wurde ein gemeinsames Pilotprojekt zwischen den Community Nurses und der Landesgesundheitsagentur konzipiert, das im Februar 2025 in die Umsetzung geht.
Eine inhaltliche Evaluierung der Fälle erfolgte durch die FH St. Pölten:
Im Rahmen des Bachelorprojekts wurden 26 Personen von Studierenden der Pflege gemeinsam mit Studierenden der Sozialen Arbeit interviewt, die von Community Nurses betreut wurden. Die Analyse der Rückmeldungen erfolgte im Zuge eines Bachelorprojekts der FH St. Pölten 2024/25. Die folgenden Ergebnisse spiegeln die Einschätzungen und Erfahrungen der Befragten wider und geben Aufschluss über die Wirkung, Veränderungen und Verbesserungsmöglichkeiten des Community-Nursing-Angebots im Waldviertler Kernland.
1. Wirkung der Besuche durch Community Nurses
Die Besuche der Community Nurses hatten für die betreuten Personen eine durchweg positive Wirkung. Viele der Interviewten betonten, dass sie sich umfassend unterstützt, verstanden und ernst genommen fühlten. Besonders hervorgehoben wurden:
- Praktische Unterstützung: Die Community Nurses halfen bei administrativen Anliegen, insbesondere bei der Pflegegeldbeantragung. Diese Unterstützung ermöglichte vielen Personen erst den Zugang zu finanziellen und pflegerischen Leistungen.
- Vermittlung und Organisation: Hilfestellung erfolgte auch bei der Inanspruchnahme sozialer Angebote, wie Essen auf Rädern, Rehafahrten oder Unterstützung bei der Pflege von Angehörigen.
- Emotionaler Beistand: Der persönliche Kontakt zu einer vertrauenswürdigen Person wirkte entlastend, reduzierte Einsamkeitsgefühle und vermittelte Sicherheit. Die Community Nurse wurde als konstante Ansprechperson erlebt, an die man sich auch in unsicheren Situationen wenden konnte.
- Niederschwelliger Zugang: Die unkomplizierte Erreichbarkeit und das unbürokratische Vorgehen wurden als besonders hilfreich empfunden – auch für Angehörige bedeutete dies eine spürbare Entlastung.
Insgesamt trugen die Besuche der Community Nurses wesentlich zur Verbesserung der Lebensqualität bei – durch eine Kombination aus organisatorischer, emotionaler und sozialer Unterstützung.
2. Veränderungen durch die Unterstützung
Die Befragten berichteten von einer Reihe positiver Veränderungen, die sich durch die Betreuung ergeben haben:
- Stärkung der Eigenständigkeit: Die Information und Anleitung durch die Community Nurses förderte die Selbstständigkeit der Klient:innen.
- Zugang zu Leistungen: Der erfolgreiche Antrag auf Pflegegeld oder der Zugang zu betreutem Wohnen erleichterte die Lebenssituation vieler älterer Personen.
- Sicherheitsgefühl im Alltag: Die Interviewten fühlten sich im täglichen Leben sicherer – auch bei Aktivitäten außerhalb des Hauses. Dadurch wurde auch die Nutzung von Freizeitangeboten wieder möglich.
- Soziale Teilhabe: Durch die Community Nurses wurden soziale Kontakte gestärkt, z. B. über die Vermittlung zum DAVNE-Angebot.
- Entlastung für Angehörige: Diese profitierten von konkreter Hilfe (z. B. Schreiben von Medikamentenlisten) und Informationen über unterstützende Angebote.
Die Betreuung durch die Community Nurses förderte sowohl die individuelle Gesundheitskompetenz als auch das Bewusstsein, dass es vor Ort eine Anlaufstelle für Gesundheitsfragen gibt.
3. Wünsche und Verbesserungsvorschläge
Obwohl die meisten Befragten sehr zufrieden waren, wurden auch einige Anregungen für eine Weiterentwicklung des Angebots geäußert:
- Proaktiver Kontakt: Gewünscht wurde, dass Community Nurses nicht nur auf Anfrage tätig werden, sondern sich regelmäßig und von sich aus melden – z. B. bei möglichen Pflegegeld-Erhöhungen.
- Bessere Erreichbarkeit: Einige Personen wünschten sich einen schnelleren Rückrufservice oder flexiblere Kontaktzeiten, besonders berufstätige Angehörige.
- Bekanntheit und Öffentlichkeitsarbeit: Viele Betroffene erfuhren nur zufällig von der Existenz der Community Nurses. Daher wurde eine bessere Bewerbung des Angebots angeregt – inklusive klarer Information über Aufgabenbereiche.
- Verständlichere Begrifflichkeit: Der Begriff „Community Nurse“ war für einige unverständlich. Eine einfachere Bezeichnung könnte die Hemmschwelle zur Kontaktaufnahme senken.
- Einbindung von Angehörigen: Manche wünschten sich Gespräche zwischen Community Nurse und Angehörigen auch ohne Anwesenheit der betreuten Person – etwa bei sensiblen Themen wie Einsamkeit.
4. Resümee und sozialarbeiterische Perspektive
Auffällig war, dass der Fokus der Community Nurses stark auf medizinischen und organisatorischen Aufgaben lag. Aus Sicht der Sozialen Arbeit ergibt sich daraus ein relevantes Entwicklungspotenzial:
- Ganzheitlicher Zugang: Um im Sinne von Public Health auch präventiv zu arbeiten, sollte der Aufbau einer stabilen Beziehung zu den Klient:innen stärker betont werden.
- Berücksichtigung der Lebenskontexte: Aspekte wie soziale Netzwerke, persönliche Ressourcen oder individuelle Ziele wurden in den Falldokumentationen kaum erfasst – hier besteht noch erhebliches Potenzial für eine ganzheitlichere Betreuung.
- Zielgruppenspezifische Angebote: Mit einem besseren Überblick über die Bevölkerungsstruktur könnten gezielt Angebote für bestimmte Gruppen entwickelt werden.
Das Community-Nursing-Modell bietet eine große Chance für die regionale Gesundheitsversorgung. Durch eine stärkere Verknüpfung pflegerischer und sozialarbeiterischer Kompetenzen kann die Versorgung nicht nur effizienter, sondern auch menschlich nachhaltiger gestaltet werden.