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Umsetzende Organisation(en)
Region
Graz
Lend
Gesundheitsdrehscheibe

Stadt Graz Gesundheitsamt

Projektkonzept 

Ausgangslage: Die demografische Entwicklung und die moderne Medizin ermöglichen eine immer älter werdende Bevölkerungsstruktur. Insgesamt steigt die Lebenserwartung, jedoch befinden wir uns in Österreich mit den gesunden Lebensjahren unter dem EU-Durchschnitt. Die Zunahme von chronischen Erkrankungen und eine fehlende Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung können als Ursache genannt werden. Der Bedarf an kommunalen und extramuralen Versorgungsstrukturen wie Pflege- und Betreuungsdiensten steigt immer weiter an. Aus diesem Grund ist es als relevant zu erachten die (gesundheitlichen) Ressourcen der Bevölkerung frühzeitig zu stärken und präventive Angebote sichtbar zu machen. Als gesundheitliche Erst-Anlaufstelle verstehen sich niedergelassene Allgemeinmediziner. Im Bezirk Lend und auch darüber hinaus im restlichen Teil von Graz, konnten bei Analysen (Quellen: www.graz.at/statistik, Abruf 12/2024)) festgestellt werden, dass der Bereich „allgemeinmedizinische Versorgung“ gravierende Mängel aufzeigt. So war es zu Beginn des Jahres 2023 nicht, oder nur sehr schwer möglich, von einer:einem Allgemeinmediziner:in mit Kassenvertrag als neue:r Patient:in aufgenommen zu werden. Besonders davon betroffen waren Personen mit Migrationshintergrund. Diese waren oft orientierungslos in der Grazer Versorgungslandschaft und hatten somit eine schlechtere Ausgangslage, ihren Gesundheitszustand zu erhalten beziehungsweise zu verbessern. So war es durch die Eröffnung der Gesundheitsdrehscheibe ein großes Ziel, eine weitere Unterstützung in der sozialmedizinischen Versorgung darzustellen. Durch die im Text genannten Herausforderungen, ergeben sich folgende gesundheitsrelevante Betrachtungspunkte im Sinne der Gesundheitsdeterminanten:

  • Ebene 1 (Alter, Geschlecht, Erbanlagen): Gesundheitliche Belange, welche durch angeborene oder altersbedingte Faktoren zu Unwohlsein führen, werden durch die Betreuung von Community Nurses koordiniert und betreut. Besonders die enge Zusammenarbeit mit Allgemeinmediziner:innen erweist sich hier als Schlüsselfunktion bei der Betreuung.
  • Ebene 2 (Faktoren individueller Lebensweisen): Diese Ebene wird besonders durch den Aspekt der Gesundheitsförderung, welche im Rollenprofil der Community Nurses verankert ist, bedient.
  • Ebene 3 (Lebens- und Arbeitsbedingungen): Diese Ebene stellt in diesem individuellen Setting der Gesundheitsdrehscheibe eine besondere Herausforderung dar. Viele der Personen sind von Armut oder Arbeitslosigkeit betroffen und benötigen besondere Unterstützung auf diesen Gebieten, um auch die Selbstfürsorge in gesundheitlich/medizinischen Belangen voll ausschöpfen zu können.
  • Ebene 4 (Allgemeine Bedingungen der sozioökonomischen, kulturellen und physischen Umwelt): Auf diesen Punkt wird im Textverlauf genauer eingegangen.

Setting

Mit der Eröffnung der Gesundheitsdrehscheibe in der Annenstraße wurde ein Standort gewählt, welcher an der Grenze der zwei Grazer Bezirke mit hohem Migrationsanteil liegt. In diesem Teil von Graz liegt der Anteil von Personen mit Migrationsanteil fast bei 80 %. Die beiden Bezirke sind von ihrer Fläche eher klein (Lend: 3,70 km², Gries: 5,05 km²) mit einer vergleichsweise hohen Einwohner:innenzahl (Lend: 33.886, Gries: 30.5060). Dies führt zu diversen baulichen Herausforderungen betreffend verfügbaren Wohnraums und Grünflächen zur Erholung. Weiteres entstehen rund um mehrere öffentliche und sehr stark frequentierte Plätze Hitzeinseln und werden in der warmen Jahreszeit zu gesundheitlichen Herausforderungen. Die Räumlichkeiten sind mit öffentlichen Verkehrsmittel gut erreichbar und liegen, das gesamte Stadtbild betreffend, sehr zentral, so dass sie für alle Grazer:innen gut erreichbar sind. 
Zielgruppen: Zu Beginn des Projekts wurde der Fokus auf Personen mit höherem Alter gelegt. Hier wurde besonders auf die häusliche Umgebung geachtet. Die betreffenden Personen sollen dabei unterstützt werden, so lange und so gesund wie möglich, ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben führen zu können. Weiterhin besteht das Klientel aus einem hohen Anteil von Personen mit Migrationshintergrund. Die Gruppe der Personen mit höherem Alter und schlechten Deutschkenntnissen wurde vor allem um junge Personen, Migrant:innen der zweiten Generation erweitert, welche sich schlecht im Gesundheitssystem zurechtfinden und meist psychisch-soziale Probleme aufweisen.

Zielsetzung

Community Nursing Graz Lend war darauf ausgerichtet, so niederschwellig wie möglich, Beratung und Begleitung von bestimmten Zielgruppen anzubieten. Mit den Community Nurses in der Gesundheitsdrehscheibe sollen besonders neben dem gesundheitlichen/körperlichen Aspekt auch die soziopsychologischen Bereiche abgedeckt werden. Personen sollen mehr Orientierung im Gesundheitssystem erlangen und ihrer selbstständigen Lebensführung bestärkt werden. Die zu betreuenden Personen sollen ganzheitlich erfasst werden. Eine umfangreiche Analyse der persönlichen Lebenswelten soll zu idealen Unterstützungsmaßnahmen führen. Durch Beratung kann Orientierung geschaffen und an adäquate Stellen vermittelt werden. Bei der Begleitung handelt es sich um eine umfangreiche Fallbegleitung welche Einzelpersonen, Familienverbände oder bestimmte Personengruppen betrifft. Im besten Fall lernen die betreffenden Personen mehr über ihre verfügbaren Ressourcen und wie sie diese gezielt einsetzen können. Weiteres war es auch Ziel durch Workshops oder Veranstaltungen, Klient:innen mit ähnlichen Lebenshintergründen oder Erfahrungen bekanntzumachen, um sie in ihrer Gemeinschaft zu stärken. Für die erfolgreiche Vermittlung benötigt es Kooperationspartner, welche im Bezirk durch Sozialraumanalysen ermittelt werden. Durch die individuelle Betreuungsmöglichkeit kann das Community Nursing Graz Lend, als ein fehlendes Verbindungsglied zwischen den Einwohner:innen des Einzugsgebiets und der bereits bestehenden Versorgungslandschaft in diesem Stadtteil verstanden werden. Über die Projektlaufzeit wurde auch deutlich, dass dieses Angebot sehr viel Anklang findet und die betreffenden Personen oft nur eine Orientierungshilfe benötigen, um etwaige Herausforderungen selbstständig zu bewältigen.

Projektdurchführung 

Aktivitäten und Methoden im zeitlichen Ablauf

Erhebung und zum Monitoring (Arbeitspaket 2.1 und 2.2) 
Um die Versorgungslandschaft in der Projektregion erfassen zu können, wurde eine Sozialraumanalyse in Form einer strukturierten Stadtteilbegehung durchgeführt. Hierfür wurde das Einzugsgebiet aufgeteilt und durch Begehungen alle relevanten Einrichtungen erfasst. Durch diesen Schritt konnten Klient:innen ortsnahe an relevante Stellen weitervermittelt werden. Weiteres wurde dadurch die Basis für Vernetzungen und Kooperationen geschaffen.

Information, Edukation und Beratung (Arbeitspaket 2.3, 2.4, 2.5) 
Die Kernarbeit des Community Nursing Lend geht von dem Angebot der offenen Beratung aus. In diesem Setting können Personen am Vormittag, ohne Termin mit individuellen Anliegen an die Community Nurses herantreten. Durch ein Erstgespräch wird die individuelle Situation der Klient:innen erörtert und gemeinsam an der Problemlösung gearbeitet. Durch die besondere Struktur in der Gesundheitsdrehscheibe können Personen auch intern an andere Berufsgruppen (Sozialarbeit, Physiotherapie, Psychotherapie) überwiesen werden. Dies dient besonders zur Überbrückung, um Maßnahmen schnell einleiten zu können, bis ein langfristige Versorgung durch beispielsweise Kooperationspartner gefunden wird. In der offenen Beratung fanden sowohl Einmalberatungen, als auch die Aufnahme ins Casemanagement statt, wenn umfangreichere Betreuung notwendig war. 
In Bezug auf Edukation wurden auch Anleitungen bzw. Einschulungen durchgeführt. Beispielsweise das korrekte Einordnen der wöchentlichen Medikation oder die Anleitung bei Verbandswechsel durch Klient:innen selbst, oder deren Angehörige.

Pflegeinterventionen, Koordination und Vernetzung (Arbeitspaket 2.7, 2.8, 2.9) 
Ein weiterer großer Teil der Arbeit im Community Nursing stellten die präventiven, aber auch begleitenden Hausbesuche dar. Präventive Hausbesuche wurden eingesetzt, um zielgruppen- und bedarfsorientierte Informationen über diverse Hilfsmöglichkeiten und Angebote zu geben. Sie sind ein wichtiger Teil in der Versorgung von Senior:innen, um Probleme frühzeitig zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken. So kann möglichst lange ein selbstbestimmtes Leben stattfinden. 
Durch die Hausbesuche wurde auch ein hoher Anteil an pflegenden Angehörigen ermittelt, welche meist nicht Deutsch als Muttersprache haben. Besonders in Familienverbänden mit Migrationshintergrund wird die Pflege von Angehörigen oft ohne externe Hilfe durchgeführt. Somit wurde mit den Kooperationspartnern des Community Nursing Gries und der Albert Schweitzer Klinik, Praxiskurse für Pflegende Angehörige auf Arabisch und Türkisch erarbeitet und durchgeführt.

Fürsprache und Interesse (Arbeitspaket 2.10, 2.11, 2.12) 
Aufgrund des hohen Migrationsanteils der zu betreuenden Personen, wurde ein Videodolmetsch-System zu Verfügung gestellt, welches sowohl geplante Termine, als auch Ad-hoc-Sitzungen in fast 20 verschiedenen Sprachen ermöglicht. Dadurch kann sichergestellt werden, dass Personen ihre Anliegen deutlich und detailreich vorbringen können. So wird einer großen Barriere entgegengewirkt.

Projektstrukturen/Rollenverteilung

Projektauftraggeber: GÖG 
Nach internationalem Vorbild sollen in Österreich Community Nurses niederschwellig, bevölkerungsnah und auf Gemeindeebene tätig werden (www, Sozialministerium, Nov.2024). 
Fördernehmer: Stadt Graz, Gesundheitsamt 
Insgesamt zwei Projektleiterinnen und 6 Community Nurses als Projektmitarbeiter:innen mit verschiedenen Ein- und Austrittszeitpunkten. 
Voraussetzung, um als Community Nurse tätig zu werden, ist die Ausbildung zur diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegeperson mit zweijähriger Berufserfahrung.

Vernetzungen/Kooperationen 
In erster Linie war es für das Community Nursing Graz Lend relevant, die verschiedenen Versorgungsangebote kennenzulernen, um deren Angebote dann gezielt weitervermitteln zu können. 
Die wichtigsten Vernetzungspartner im Projekt Community Nursing Lend stellten die niedergelassen Allgemeinmediziner:innen und die Primärversorgungseinrichtungen dar. Im weiteren Text eine kurze Erläuterung über den Vernetzungsaufbau und die Zusammenarbeit.

•    Kontakt zu Mediziner:innen herstellen 
Im Zuge der Sozialraumanalyse wurden die betreffenden Ärztinnen und Ärzte ermittelt. Die im Projektgebiet niedergelassenen Allgemeinmediziner:innen wurden per E-Mail, Post oder durch persönliche Besuche über das Eröffnen der Gesundheitsdrehscheibe (GDS) informiert. Listen über verfügbare Allgmeinmediziner:innen wurden angefertigt und mit Vermerken versehen, falls eine:r der Mediziner:innen eine zusätzliche Fremdsprache beherrscht.

•    Einladung zu Information über GDS 
Um das Projekt der Gesundheitsdrehscheibe und somit auch die Tätigkeit der Community Nurses kennenzulernen, wurden Einladungen für einen Informations- und Vorstellungsvortrag ausgeschickt.

•    Möglichkeit der Befundberichte 
Allgemeinmediziner:innen, welche über den Verlauf ihrer Patient:innen Bescheid wissen wollen, haben die Möglichkeit einen Befundbericht zu beantragen. So kann sichergestellt werden, dass beide Seiten über den Behandlungsverlauf und weiteres Vorgehen informiert sind.

•    Jährliche Treffen

Senior:innenbüro 
Experten:innen der Gesundheitsdrehscheibe der Stadt Graz geben im Zuge ihrer Vorträge, ausschließlich wissenschaftlich gesicherte Informationen über Gesundheit und Krankheit, leicht verständlich aufbereitet, zur Diskussion zu stellen, um die Gesundheitskompetenz der Teilnehmer:innen an den Workshops zu erhöhen. Unter der Vortragsreihe finden sich Themen wie: Diabetes, Sexualität im Alter, Selbstbestimmtes Altern oder Stress im Alter.

Marienambulanz 
Marienambulanz ist eine offene Ambulanz mit niederschwelliger allgemeinmedizinischer Erst- und Grundversorgung für Menschen in Not und Unversicherte. Zusätzlich werden gynäkologische/geburtshilfliche, psychiatrische sowie zahnmedizinische Fachordinationen angeboten. Somit kann die medizinische Versorgung um die ärztliche Tätigkeit erweitert werden. Bereits im März 2023 wurde ein Schreiben über die gegenseitigen Schnittstellen der beiden Einrichtungen verfasst.

GFSG 
Die Angebote der GFSG stellen eine hervorragende Ergänzung zur ganzheitlichen Versorgung dar. Besonders die psychosoziale Komponente steht hier im Vordergrund. 
Gemeinsam mit dem Projekt SOPHA der GFSG, und der Mitarbeiter:innen des Community Nursing Lend wurde ein Projekt entwickelt, welches auf Demenzfrüherkennung- und Prävention abzielt. Für die niederschwellige Zugangsweise wurden stark frequentierte Plätze genutzt. Zielgruppe waren alle Personen die sich im Vorbeigehen angesprochen fühlten, Personen mit Vergesslichkeit und Personen ab 65 Jahren. Durch eine spielerische Herangehensweise wurden Personen an die Thematik herangeführt. Bei Interesse wurde auch eine kurze Gedächtnisüberprüfung von zuvor geschulten Personen an den Passanten durchgeführt. Bei auffälliger Überprüfung wurde ihnen diskret eine weitere Anlaufstelle (SOPHA) vermittelt.

Fazit 

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Community Nursing Lend eine relevante Schnittstelle in der Gesundheitsversorgung für die im Einzugsgebiet lebenden Personen darstellt. Allein durch das Tätigkeitsprofil der Community Nurses werden alle Determinanten der Gesundheit berücksichtigt und bei der Fallbearbeitung einbezogen. 
Besonders die Übernahme von Personen, welche bereits langwierige Behandlungswege aufweisen und mehrmals bei Stellen abgewiesen wurden, fanden in der Gesundheitsdrehscheibe, durch das individuelle Gesundheitsmanagement, eine Stelle bei der ihre Probleme ganzheitlich erfasst wurden und im interdisziplinären Team bearbeitet werden konnten. 
Durch den Aufbau eines Kooperations-Netzwerks, konnten diverse Versorgungsangebote an Klient:innen vermittelt werden. Mit Hilfe der Kooperationspartner wurde in einigen Fällen eine langfristige Versorgung von Hilfesuchenden gewährleistet.