Amt der Landeshauptstadt Bregenz
Amt der Landeshauptstadt Bregenz
Ausgangslage (Bevölkerungsstruktur, geographische Besonderheiten, spezifische Bedarfe)
Die Landeshauptstadt Bregenz umfasst knapp 30.000 gemeldete Hauptwohnsitze und rund 7.600 Familien. Der Anteil der Familien mit Mann und Frau mit einem anderen Geburtsland als „D-A-CH-Lie“ betrug 2021 25%. Bei 589 Familien mit mindestens einem Kind unter 18 Jahren hatten die Eltern eine andere Staatsangehörigkeit als „D-A-CH-Lie“. 748 Eltern hatten max. einen Pflichtschulabschluss (letzte Erfassung 2018). 1.603 Haushalte bekamen 2020 Wohnbeihilfe und 2.402 Personen Sozialleistungen (letzte Erfassung 2019).
Der integrative Wohnbau in Bregenz umfasst etwa ein Drittel aller Wohnobjekte und befindet sich ausschließlich in den Stadtteilen Rieden und Vorkloster. In diesen Stadtteilen haben an den VS und NMS bis zu 80% der Schüler:innen eine andere Muttersprache als Deutsch.
In den letzten Jahren war ein stetiges Wachstum der Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund zu beobachten und ein immer schwieriger werdendes Eingliedern dieser in das bestehende Gesundheits- und Sozialsystem, aufgrund von Sprachbarrieren, kulturell bedingten unterschiedlichen Zugängen, mangelnden Kenntnissen und Ängsten.
Mit einem Anteil der über 65 jährigen von knapp 20% liegt Bregenz verglichen mit allen anderen Städten in Vorarlberg an der Spitze, weswegen die Stadt bereits seit mehreren Jahren Case Manager:innen beschäftigt, die den Bedarf an Beratung, Vernetzung, Prävention usw. dieser Bevölkerungsgruppe bestmöglich abdeckt. Große Lücken in der Bedarfsdeckung sind bei der oben beschriebenen vulnerablen Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund gegeben.
Überlegungen, Zielgruppen
Die Community Nurse erreicht die oben genannte Zielgruppe der Menschen mit Migrationshintergrund unter 65 Jahren. Die Leistungen sind subsidiär und präventiv angelegt.
Die Kontaktpflege zu den örtlichen Mediziner:innen, Systempartnern und anderen im Gesundheits- und Sozialsystem tätigen ermöglicht nach und nach eine bedarfsorientierte, interdisziplinäre Beratung und Betreuung.
Die CN fördert und unterstützt die Entwicklung der Gesundheitskompetenz der Zielgruppen. Der richtige Zugang zu bestehenden Angeboten im Gesundheits- und Sozialsystem wird durch ihre Begleitung für die Betroffenen wesentlich erleichtert und stationäre Aufnahmen dadurch oftmals verhindert.
Durch aufsuchende und präventive Tätigkeiten kann die Community Nurse Krankheitseintritte und Pflegebedürftigkeit verringern und verhindern. Sie ist die Vertrauensperson der Zielgruppen und befähigt diese, zu nachhaltigem und eigenverantwortlichem Denk und Handeln in Bezug auf deren Gesundheitsverhalten. Sie fördert das Erleben der Selbstwirksamkeit der Betroffenen.
Die CN ist eine Expertin des regionalen Gesundheits- und Sozialsystems und nützt dieses Wissen für die bestmögliche Beratung der Zielgruppe. Sie führt die bestehenden Systeme zusammen und fördert die Kooperation.
Zielsetzung
Die CN arbeitet vernetzt und berät präventiv die Zielgruppe von Menschen unter 65 Jahren in Bregenz mit Migrationshintergrund, die Unterstützung aufgrund psychischer oder somatischer Belastungen benötigen und durch ihren sozioökonomischen Status soziale Ungleichheit erfahren sowie keinen freien Zugang zu Gesundheits- und Sozialsystem inkl. Präventions- und Gesundheitsförderungsprogrammen haben.
Projektdurchführung
Trotz intensiver Bemühungen konnte zum Start des Projekts über Monate keine Community Nurse gefunden werden. Die spärliche Anzahl an Bewerber:innen schied entweder durch fehlende Berufserfahrung, die mangelnde Bezahlung oder das Desinteresse an der Zielgruppe aus. Mit dem verspäteten Beginn des Projekts im September 2022, sowie dem Wechsel in der Projektleitung gestaltete sich der Start holprig, da die laufenden Informationen, sowie die umliegenden Projekte natürlich bereits vorangeschritten waren. Während sich der überwiegende Teil der österreichweiten Projekte Pflegethemen mit der Zielgruppe Ü65 widmeten, war unsere Zielgruppe auf Menschen mit Migrationshintergrund unter 65 Jahren beschränkt. Die Unterlagen und Fortbildungsmöglichkeiten der GÖG waren jedoch ganz klar den Themen „Ü65“ gewidmet. Die Angliederung der CN erfolgte in der Dienststelle Gesundheit im Amt der Landeshauptstadt Bregenz.
Nach den ersten Versuchen, Kontakte zur Zielgruppe zu knüpfen, sich mit Systempartnern zu vernetzen sowie Angebote zu etablieren, schied unsere Community Nurse krankheitsbedingt aus dem Projekt aus.
Die intensive Suche nach einer neuen CN zog sich wiederum fast bis zum Ende des zweiten Jahres (2023).
Die erste Zeit war geprägt von der Schärfung des Rollenprofils, Vernetzung mit Systempartnern, der neuen Zusammensetzung des Projektteams, sowie dem Vertrauensaufbau zur Zielgruppe und den Schlüsselpersonen.
Im Bereich der Gesundheitskompetenzförderung wurde ein Format namens „Panorama Gesundheit“ in Kooperation mit dem Gesundheitsservice der Landeshauptstadt Bregenz ins Leben gerufen. Vorträge, Kurse und Workshops zu den Themen „Ernährung, Bewegung, mentale Gesundheit und Umwelt“ wurden angeboten. Mittels künstlicher Intelligenz konnten die Gesundheitsvorträge in 57 Sprachen live übersetzt und der Zielgruppe somit die soziale Teilhabe ermöglicht werden. Gesundheitsvorträge mit renommierten Redner:innen lockten bis zu 200 Bürger:innen pro Veranstaltung an und finden bis heute regen Anklang (Zielgruppe offen).
Ein regelmäßiger Gesundheitstipp zur Vermittlung von Gesundheitswissen und Stärkung der Selbsthilfefähigkeiten ist ebenfalls in Kooperation mit dem Gesundheitsservice entstanden und wurde an Bürger:innen der Stadt Bregenz via Newsletter ausgeschickt. Die enthaltenen Hinweise auf Veranstaltungen und Gruppenkurse wurden von den Bürger:innen gerne angenommen. Die Gruppenkurse wurden mit viel Engagement von unserer CN vorbereitet (Hausmittel, Walderkundung, Stadtführung, gesunde Jausebox, usw.)
Andere Angebote und Überlegungen mussten allerdings mangels Teilnehmer:innen nach einiger Zeit eingestellt werden (z.B. Sprechstunde, interkulturelles Cafe), da die Zielgruppe nicht erreicht werden konnte.
Gerade in der Einzelfallberatung war unsere CN intensiv „im Feld“ unterwegs um das Angebot bekannt zu machen: Anwesenheit in religiösen Kulturstätten, mehrfache Aktionen im türkischen Supermarkt, wöchentliche Flyerverteilaktionen in den Brennpunktregionen, Teilnahme an interkulturellen Märkten, regelmäßige Anwesenheit bei Ärzteaustauschtreffen, usw. Der Rücklauf fiel jedoch leider spärlich aus. Das sehr gut ausgebaute Vorarlberger Sozial- und Gesundheitsnetz, die Sprachbarrieren, die eng gefasste Zielgruppe, die Verteilung der Aufgaben auf den Schultern einer einzelnen CN, die Stadtteilbüros die in den Brennpunktregionen bereits hervorragende sozialarbeiterische Arbeit leisten, die kulturell unterschiedliche Sicht auf Gesundheitsthemen, uvm. stellten Hindernisse dar, die in der kurzen Restlaufzeit nicht oder nur zum Teil überwunden werden konnten. Die vielen Versuche die Zielgruppe zu erreichen, sowie das mäßige Interesse an manchen Angeboten führten zeitweise zu Frustration, manchmal jedoch auch zur intensiven Auseinandersetzung mit den Bedarfen und Überlegungen zu neuen Wegen.
Mehr und mehr zeigte sich der Bedarf an präventiven Gesundheitsmaßnahmen an den Pflichtschulen. Schlechter Zahnstatus, zunehmend adipöse Kinder- und Jugendliche sowie vermehrt aufkommende Themen der mentalen Gesundheit wurden nicht nur von den Schulärzt:innen kritisch beobachtet, sondern auch durch den ersten Vorarlberger Schulgesundheitsbericht (SJ 23_2024) bestätigt. Einige Schulen waren und sind, trotz der Verpflichtung der Kommunen zu Schuluntersuchungen, schulärztlich nicht besetzt.
Die GÖG stimmte unserer Anfrage nach einer Öffnung der Zielgruppe auf Menschen unter 65 Jahren aller Nationalitäten und der Ausweitung der Zielgruppe auf Schüler:innen und Eltern zu. Die Begleitung der CN zu den Schuluntersuchungen erwies und erweist sich als sehr willkommen und hilfreich für die Ärzt:innen, weshalb wir an diesen Aufbau anknüpfen und hoffen, dass auch 2025 der Bedarf dafür von den Geldgebern gesehen wird. Durch den engen Kontakt mit den Schüler:innen, Lehrer:innen, Direktor:innen usw. entstehen neue Kontakte, auch zu den Eltern. Die CN hat durch ihre nachgehende Tätigkeit die Möglichkeit Familien auch zuhause zu besuchen, was sich als sehr hilfreich erwiesen hat.
Fazit
Alle handelnden Personen waren aufgrund von Personalwechseln nicht von Anfang an in die Beantragung des Projekts und die dementsprechenden Überlegungen eingebunden, was ungünstig für den Start war.
Die Beschränkung der Profession auf den Mangelberuf der DGKP´s war gerade in der Bewerbungsphase deutlich spürbar, was zu massiven Verzögerungen im Projekt führte.
Die Zielgruppe musste sich, vom vorarlbergweit ausgebauten und jahrelang etablierten Case Management unterscheiden, um Doppelgleisigkeiten zu vermeiden. Auch die Verschmelzung mit pflegenden Systempartnern (KPV, MoHi, usw.) war ganz klar durch die Abgrenzung zur Zielgruppe (Altersstruktur) gekennzeichnet. Alle Unterlagen sowie Fortbildungen der GÖG waren jedoch auf das „Ü65 Thema“ ausgerichtet.
Der Aufbau und das Etablieren von Community Nursing in Gemeinden, erfordert viel Erfahrung, Wissen über die vielfältigsten Themenbereiche (Projektmanagement, Beratung, Soziallandschaft, soziale Probleme, usw.), ein hohes Maß an Eigeninitiative, Kommunikationsfähigkeit, Frustrationstoleranz, eine große Leidenschaft für die Arbeit mit Menschen aller Herkunftsländer und den unterschiedlichsten sozialen Problemen, der Wunsch in einem lebensweltorientierten Setting im Feld tätig zu sein, uvm. Die Herausforderung die den DGKP´s gestellt wurde war/ist eine sehr große.
Aufgrund der Kürze der verbleibenden Zeit im Projekt gelang trotz intensiver Bemühungen der Vertrauensaufbau zur Zielgruppe noch nicht ausreichend. Die Gesundheitsveranstaltungen sowie Gruppenangebote nahmen jedoch Fahrt im positivsten Sinne auf.
Durch die Erweiterung unserer Zielgruppe, kehrte wieder frischer Wind in das Projekt ein, an einer Stelle an der die Hilfe dringend benötigt wird. Der Kontakt zu den Ärzt:innen wurde dadurch intensiviert, was vorher nicht in diese Form der Fall war.
Der bürokratische Aufwand für die Beteiligten war unfassbar groß und sprengte jeden Rahmen. Die Unterstützung der GÖG war jedoch immer vorhanden und auch die Geduld bei den Abrechnungen war beispiellos.
Abschließend bleibt zu sagen, dass das Projekt den Bürger:innen der Stadt Bregenz mit der anfänglichen Zielgruppe nur teilweise eine Hilfestellung und die Restlaufzeit zu kurz für den Aufbau war. Der hohe bürokratische Aufwand vermieste den Beteiligten oftmals den positiven Blick auf das Projekt. Alles in allem sollte die Zielgruppe unbedingt geschärft werden, um einen größeren Mehrwert schaffen zu können. Der Platz der Community Nurse im sozialen Gefüge ist noch nicht vollends gefunden, jedoch ist unsere Community Nurse auch weiterhin mit viel Engagement dabei, den Weg in diese Richtung zu ebnen.